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Vom Racheputzer und scharfen Sachen

Aktualisiert: 26. Mai 2022

Folge 14 von Wolfgang Braun
Erstellt im Juli 2021. Digitalisiert vom Heimatverein Niederbühl-Förch e. V. im Dezember 2021
Vielen Dank unserem Gründungsmitglied Wolfgang Braun, dass wir seinen Artikel hier veröffentlichen dürfen.

Bereits im Mai vergangenen Jahres lautete die Mitteilung des Altenwerkes:

“Besuch der Meerrettich-Manufaktur Aléor in Mietesheim (Elsass) muss ausfallen.“

Somit ist ein weiterer Tagesausflug der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen. In Vorfreude „scharfer Erlebnisse“ wollten sich Senioren unseres Altenwerkes in die Region hinter Hagenau begeben, wo sich entlang des Flusses Zinsel große Meerrettichfelder erstrecken. Die Besichtigung einer der größten Senf- und Meerrettichmanufakturen Frankreichs, der „Raifalsa“ stand auf dem Programm.


Was hat es mit dem Meerrettich auf sich und welche Rolle spielt er in unserer heimischen Küche? Diesen Fragen will dieser Artikel nachgehen. Starten wir mit einer Quizfrage:

Was ist der entscheidende Unterschied, wenn Sie in eine Chilischote beißen oder frisch geriebenen Meerrettich essen?

Chilischärfe wird im Mund wahrgenommen, Meerrettich steigt in die Nase. Diese Wirkung, der man auch Heilkraft zuschrieb, wird bereits in der Antike beschrieben. Dem Orakel von Delphi wird z. B. folgender Spruch zugeordnet:

„Radieschen sind mit Blei aufzuwiegen, Rettich mit Silber, doch der Meerrettich ist sein Gewicht in Gold wert".

Die ursprüngliche Heimat des Meerrettichs vermutet man im Wolga-Don-Gebiet im Süden Russlands, wobei in den Steppen im Osten Russlands, aber auch in der Ukraine Meerrettich noch wild vorkommt.


In Mitteileuropa taucht die Pflanze im St. Gallener Klosterplan (9. Jh.), in dem Kräutergedicht „Hortulus“ des Abtes Walahfrid Strabo auf. Hildegard von Bingen (12. Jh.) erwähnt den Meerrettich in ihren botanischen Schriften als Heil- und Gewürzpflanze.


Es war die Zeit, in der Salz für den „Normalbürger“ (es waren zu 90 % Bauern) unerschwinglich war. Man behalf sich mit Kräutern und heimischen Gewürzpflanzen wie z. B. dem Meerrettich und Senfkörnern. Für den beißend-scharfen, tränentreibenden Effekt sind Senföle verantwortlich, die auch gesundheitsfördernde Wirkungen haben. Daneben enthält der Meerrettich auch Vitamine (vor allem Vitamin C), Mineralstoffe und Enzyme. Somit war Meerrettich auch bei langen Seefahrten an Bord, denn der hohe Vitamingehalt, der z. B. auch im Sauerkraut zu finden ist, bot hervorragenden Schutz vor Skorbut, einer unter Seefahrern gefürchteten Mangelerkrankung.


In der Vergangenheit hatte Niederbühl eine große Bedeutung für den Meerrettichanbau und -handel, die allerdings im Lauf der Zeit verloren ging. In unserer Region ist heute Urloffen das Meerrettichzentrum. Weitere große Anbaugebiete gibt es u. a. im Spreewald und bei Baiersdorf in Mittelfranken (Heimat der Firma Schamel), wo seit 1430 erstmals Meerrettichkulturen angelegt wurden.


Nun eine weitere Quizfrage:

Was hat Meerrettich mit Meer zu tun?

Wohl kaum etwas mit unseren Meeren, obwohl in der Bretagne ebenfalls Meerrettich angebaut wird. Hierzu findet man in der „Enzyklopädie des deutschen Mittelalters“ folgende Aussage:

„Aus dem südosteuropäischen Raum stammende ausdauernde krautige Pflanze mit kräftiger weißlicher Pfahlwurzel. Der Name rührte nicht daher, dass die Pflanze von weit über das Meer gekommen sei, sondern von dem Umstand, dass sie mehr (würzende Stärke oder Kraft) hat als Rettich … meri-ratich, mer-retich; merrich; retich; lateinisch von radix = Wurzel.“

Eine andere Worterklärung führt zu „Mähre“. In England spricht man von horseradish (horse = Pferd; radish = Rettich) und beschreibt damit den sog. Mährrettich als einen Schleimlöser für Pferde. Mähre bezeichnete zuerst eine Stute und später ein altes Pferd. Dabei erkannte man recht früh den Meerrettich als Heilpflanze mit antibakterieller Wirkung. 40


Frisch geriebener Meerrettich wirkt beim Pferd in einer Menge von etwa 20 bis 25 Gramm pro 100 Kilo Körpergewicht wie ein Breitband-Antibiotikum. Auch in Frankreich findet sich die Bezeichnung „radis de cheval“ neben dem gängigeren Begriff „raiffort“. Die slawische Herkunft des Wortes „Kren“, das auch in Österreich verwendet wird, zeigt die Lehnworte kren, krene, chren. Krenas bedeutet weinen. Die botanische Bezeichnung ist Armoracia rusticana.


Dass die Wirkung des Meerrettichs in der Sagenwelt, beziehungsweise im Aberglaube ein Rolle spielt, dürfte wohl niemanden verwundern. Als schärfstes Mitglied der Familie der Kreuzblütengewächse bereitet er bei übermäßigem Verzehr unter Umständen sogar Schmerzen – müsste er da nicht auch diverse Teufel, Dämonen, rasende Hunde, Hexen und böse Geister austreiben können?


Zurück nach Niederbühl, wo es Adolf Seitz gelang, bereits vor dem Zweiten Weltkrieg den geriebenen Meerrettich in Gläsern anzubieten.

Nach dem Krieg baute er eine kleine Fabrikationshalle (an der Murgtalstraße gegenüber dem SchnickSchnack) und produzierte – unter Mitarbeit seiner beiden Söhne Robert und Waldemar Meerrettich, dessen Verbreitungsgebiet sich von der Schweiz bis nach Holland erstreckte. Die rasch wachsende, knorpelige Pflanze aus Niederbühl fand auch in so manchen Restaurants in Paris ihre Liebhaber.


Inzwischen gibt es Hoffnung, dass die ausgestorbene Tradition des Meerrettichanbaus unter dem Motto: „Kulinaria á la Niederbühl“ zumindest hobbymäßig wieder zum Leben erweckt wird.


Der Niederbühler Heimatverein hat diese Verpflichtung erkannt und begann – angeleitet von Burkard Herrmann, dem „Meerrettichpapst“ - mit dem Anbau auf einem Grundstück hinter der Gemeindescheuer.

Der Anfang wurde mit 24 Pflanzen gemacht. Sie mögen sich so vermehren, dass man wieder vom „Meerrettich-Dorf“ sprechen kann.


Erfindergeist aus Niederbühl in der Person von Johann Wich (1859 – 1939)

sorgte dafür, dass Meerrettich vor allem dann sein wohltuendes Aroma entwickelt, wenn er ganz fein gerieben zur Anwendung gelangt. In einer Werbebotschaft lautet der Text:

Quelle: Heimatbuch Niederbühl

Jetzt wird es Zeit, eine Meerrettichsuppe nach einem überlieferten Rezept zu kochen.

Zutaten

Ein knappes Kilo Kartoffeln, 2 Zwiebeln, 25 gr. Butter, 1 guter Liter Gemüsebrühe, ca. 40 gr. geriebener scharfer Meerrettich, 200 gr. Schmand, 8 Scheiben roher Schinken, 4 Stiele krause Petersilie, bei Bedarf, ein kleines Glas Apfelmost 41


Zubereitung

  • • Kartoffeln schälen und würfeln

  • • Zwiebeln würfeln und mit Butter glasig braten

  • • Kartoffeln untermischen und 3 Min. mitbraten

  • • Gemüsebrühe hinzugeben und ca. 25 Min. kochen lassen

  • • Meerrettich und Schmand verrühren

  • • Schinken aufrollen und fingerdicke Röllchen schneiden

  • • Petersilie hacken

  • • Kartoffeln in Brühe pürieren und die Hälfte des Meerrettich-Schmands unterrühren

  • • Bei Bedarf Most hinzugießen

  • • Suppe mit Schinken, Petersilie und restlichem Meerrettich-Schmand anrichten.

Zum Schluss etwas zum Weinen und Schmunzeln, aufgestöbert aus der Schatzkiste der Universitätsbibliothek in Heidelberg aus dem Jahre 1856. Sie finden das traurig schaurige Gedicht in der Zeitschrift „Fliegende Blätter“, Nr. 597, S. 164. Es trägt den Titel: „Das weinende Mädchen.“



Herausgeber

Pfarrgemeinde St. Laurentius Niederbühl, in der Kirchengemeinde Vorderes Murgtal, vertreten durch das Gemeindeteam.

Autor (Text- und Gestaltung)

Erstellt im Juli 2021

Blogbeitrag

Erstellt im Dezember 2021 vom Heimatverein Niederbühl-Förch durch Marcus Wirth

Fotografien

Sofern nichts anderes vermerkt ist, stammen die Fotografien von Wolfgang Braun

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