Nationalsozialistische Barbarei Das Arbeitserziehungslager in Niederbühl
- Heimatverein Niederbühl-Förch
- 1. Apr.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Apr.
Von Wolfgang Braun
Dritte, überarbeitete Version vom April 2025.
Vielen Dank an unser Gründungsmitglied Wolfgang Braun für seine wertvollen historischen Beiträge und seine Unterstützung als Autor im Heimverein Niederbühl-Förch e.V.
In diesem Beitrag wird versucht – obwohl objektive Daten mit der Lupe zu suchen sind – das Schicksal der im Niederbühler Arbeitserziehungslager internierten Menschen während des Nationalsozialismus näher zu beleuchten.
Als Leitmotiv des Artikels gilt die Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog in einer Rede, gehalten im Jahr 1999 im Deutschen Bundestag. Er wählte den Titel seiner Ausführungen:
„Erinnerung darf nicht enden – ohne Erinnerung keine Zukunft“.
Wenn Menschen in Niederbühl entrechtet, gedemütigt, ausgebeutet und gequält wurden, so dürfen diese Schreckenstaten – auch fast 90 Jahre danach – nicht vergessen werden. Die Rede ist von den menschenunwürdigen Zuständen im ehemaligen Arbeitserziehungslager auf dem Gelände zwischen der an die Niederschlagung der Badischen Revolution im Jahr 1849 erinnernde Pyramide und dem Gewerbekanal. [1]
Eine Handskizze (Fotografieren war strengstens verboten) des Niederbühler Heimatforschers und Hobbymalers Wilhelm Kenz zeigt acht Gebäude, davon eines im Rohbau, die sog. Frauenbaracke. [2]
Dieser Ort des Grauens wurde gemäß eines Erlasses Heinrich Himmlers durch regionale Gestapo-Dienststellen im Jahr 1942 eingerichtet. Ab Herbst 1943 wurden die Häftlinge nach Karlsruhe verlegt. Als das dortige Lager im Frühjahr 1944 aufgelöst wurde, kam ein Teil der Insassen ins wiedereröffnete Lager nach Niederbühl zurück. Im April 1945 wurden die Insassen auf den „Marsch nach Dachau“ geschickt.
Das Lager, welches während der Zeit des Nationalsozialismus offiziell als Erziehungslager bezeichnet wurde, diente in erster Linie der Disziplinierung und Umerziehung von Andersdenkenden, politischen Gegnern und Langzeit-Arbeitslosen. Diese „Erziehungsmethoden“ galten offiziell nicht als Strafmaßnahmen und bedurften somit – als rein polizeiliche Anordnungen – keinerlei gerichtlicher Entscheidungen.
Welche Personen aus welchen Gründen verhaftet und bestraft wurden, war der Willkür der zuständigen Dienststellen überlassen.
Als Haftgrund konnte neben „Arbeitsbummelei“ oder „Arbeitsverweigerung“ beispielsweise auch das Nichtausführen des „deutschen Grußes“ gelten. Frauen wurden u. a. wegen Verletzung des Kontaktverbotes mit sogenannten Volksfremden, d. h. in der Regel mit Männern aus Osteuropa inhaftiert.
Nicht unerwähnt bleiben soll die Tatsache, dass lokale Interessen der Industrie und der Gemeinden an der Disziplinierung und Ausbeutung der Arbeitskräfte mitwirkten. Man schätzt, dass es im Deutschen Reich (einschließlich der besetzten Gebiete) etwa 200 dieser Lager mit ca. 500.000 inhaftierten, ausgehungerten und ausgebeuteten Arbeitssklaven gab. [3]
Auf Baden bezogen zählte man im November 1942 ca. 70.000 Zwangsarbeiter. Rechnet man die überwiegend aus Frankreich, Polen und der Sowjetunion stammenden Kriegsgefangenen hinzu, erhöht sich die Zahl auf 110.000, was etwa 20% der Beschäftigten bedeutet. [4]
Laut einer Statistik des Landesarbeitsamtes schufteten im Bereich Rastatt fast 4.000 ausländische Zwangsarbeiter, die in Niederbühl, Rotenfels und Weisenbach untergebracht wurden.
Viele wurden im Daimler-Benz-Werk in Gaggenau eingesetzt. Dort arbeiteten im Durchschnitt zwischen 1.500 und 2.000 Häftlinge, die von den „Sicherungsverwahrungslagern“ Schirmeck-Vorbruck und Natzweiler-Struthof angefordert wurden. [5]
Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse von Häftlingen kann man getrost als staatspolizeilich angeordneten Arbeits- und Haftterror bezeichnen.
Trotz der spärlichen Datenlage über das Niederbühler Lager gibt es vielfältige mündlich überlieferte Berichte [6]. So erzählten Zeitzeugen von …
„… mit Stacheldraht umgebenen Männerbaracken und einer Frauenbaracke“.
Obwohl es gefährlich war, wurde den Gefangenen, die vom Arbeitseinsatz im Gleichschritt zurückkehrten, heimlich so manches Essbare zugesteckt.
In seinem Buch: „Wo´s d´ Dörflein sich erinnert“ berichtet der Niederbühler „Hobbypoet“ Lothar Herrmann u. a. von abscheulichen Strafmaßnahmen. So soll es oft vorgekommen sein, dass man selbst an strengsten Wintertagen Lagerinsassen in den eiskalten Kanal trieb.
Lothar Herrmann beschreibt die Maschinerie der Gestapo wie folgt:
„Das Dorf schweigt, wie alle schweigen. Es ist die Zeit des Schweigens. Wer schweigt kann überleben. Wer redet ist tot, … ein Dorf erblickt die nationalsozialistische Barbarei.“
Lothar Herrmann war damals neun Jahre alt. Er erinnert sich an einen Wachmann [7], dessen Tochter Helga R… (seinerzeit noch Kind) folgende Szene miterlebt hat:
„Ich sah einen Mann, der auf dem Boden kniete. Ein Wachmann drückte ihm den Kopf in sein Erbrochenes und zwang ihn, es zu essen.“
Und weiter Helga R…:
„Ich habe dieses Bild noch heute genau in meinem Kopf. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann kommt es manchmal in mir hoch.“

Hier eines der seltenen Bilder der Frauenbaracke. [8]
Henry Foltzer, ein vom Elsass kommender Gefangener schreibt:
„Eines Tages, als wir zum Lager zurückstiegen – ich glaube es war ein Sonntag – brach vor mir ein Russe plötzlich zusammen, tot. Ohne Zweifel starb er an Erschöpfung, denn wir hatten seit Langem kaum mehr etwas zu uns genommen. Die Wachmänner haben nicht einmal angehalten, man ließ ihn dort am Straßenrand liegen. Dies gab mir einen Stich ins Herz.
Dieser Russe war jung, er würde sein Land nicht mehr wiedersehen, ich kannte noch nicht einmal seinen Namen.“ [9]

Text- und Bildquelle: Landeszentrale für politische Bildung BW. Lehren & Lernen, der Weg des Erinnerns - Der Leidesweg der Zwangsarbeiter
Klaus Hermann [10] berichtet:
„Hat ein Gefangener z. B. einen auf dem Weg liegenden Apfel aufgehoben, trat der Aufseher auf dessen Hände. Ich hörte fast täglich die auf dem Kopfsteinpflaster zur Arbeit nach Rastatt getriebenen Männer mit ihren kleppernden Holzschuhen. Meine Mutter schickte mich hinunter, um ihnen das ein oder andere Stück Brot zuzustecken, denn mir als Kind konnten sie ja nichts antun.“
In der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg [11] gibt es Dokumente, die das Schicksal der im Niederbühler Arbeitserziehungslager schuftenden holländischen Gefangenen Fesevur und Hendriks schildern.
So wird berichtet, dass in einer Baracke kistenweise Delikatessen aus ganz Europa gelagert wurden, die zu berühren den sicheren Tod der ausgehungerten Häftlinge bedeutet hätte. Beim geringsten Anlass wurden die ohnehin erbärmlichen Essensrationen gekürzt.
Die für die Bewachung des Lagers zuständige Gestapo zwang die Insassen auch, sinnlose Arbeiten auszuführen wie z. B. Steine quer über den Appellhof in die gegenüberliegende Ecke und, wenn die Arbeit beendet schien, sie wieder zurückzuschleppen.
Als ein Mithäftling der beiden Holländer einen Fluchtversuch unternahm, wurde er erschossen, seine Leiche auf einem Wagen in das Lager zurückgeschafft und zur Abschreckung im Hof aufgestellt.


Die beiden Bilder [12] zeigen Zeichnungen eines aus dem Elsass stammenden Zwangsarbeiters, der im Niederbühler Lager ca. drei Monate lang inhaftiert war und u. a. für Straßenarbeiten an der Lützower Straße in einer Arbeitsbrigade eingesetzt war.
Folgendes Dokument [13] mit dem Titel „Grabmeldung“ zeigt die Meldung des Ortskommandanten aus Niederbühl, der dem Kriegsgräberdienst in Schwäbisch Hall den Tod des holländischen „Zivilarbeiters“ Piet Rozendal meldet.

Als Todesgrund wurde bei dem gerade 21 Jahre alten jungen Mannes „Herzschwäche“ angegeben. „Herzschwäche“ stand im Sprachgebrauch als Synonym für …
„Erschöpfung durch Zwangsarbeit“. [14]
Auf dem Ehrenhain unseres Friedhofes trägt ein Gedenkstein – neben 14 Namen – die Aufschrift:
„In Erinnerung an die Verstorbenen des ehemaligen Arbeitserziehungslagers Niederbühl“.
Vielleicht wird auch eines Tages die Idee realisiert, am ehemaligen Lagerstandort ein Zeichen des Gedenkens verbunden mit entsprechenden Informationen zu errichten.
Es gäbe hierfür wohl kaum ein besseres Motto als:
„Nie wieder ist jetzt!“

Herausgeber
Heimatverein Niederbühl-Förch e. V.
Autor (Text- und Gestaltung)
Wolfgang Braun http://www.braun-wolfgang.de/
Dritte, überarbeitete Version vom April 2025
Blogbeitrag (Gestaltung)
Erstellt vom Heimatverein Niederbühl-Förch durch Marcus Wirth
Text- und Bildquellen
Sofern nichts anderes vermerkt ist, stammen die Fotografien und Texte von Wolfgang Braun
[1] Heute befindet sich dort das Acetylenwerk der Firma Basi.
[2] vgl. Luftbild am Ende dieses Beitrags
[3] „Zwangsarbeit im NS-Staat“, Stiftung: Erinnerung, Verantwortung, Zukunft, Bundesarchiv Koblenz, 2010
[4] vgl. Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins ,,Schau-ins-Land", Freiburg, in der 111. Jahresschrift von
1992 auf den Seiten 179 ff.
[5] Wussten Sie, dass Teile der B500 zwischen Baden-Baden und Freudenstadt von Zwangsarbeitern
ausgebaut wurden. Ein mit Stacheldraht umzäuntes Lager befand sich in der Nähe des Kniebis. Quelle:
Haus der Geschichte BW
[6] Zeitzeugen sind namentlich bekannt.
[7] Familie ist namentlich bekannt.
[8] Koch, Markus, „Das Arbeitserziehungslager Niederbühl“, Heimatbuch Landkreis Rastatt, 2013, S. 83 ff.
[9] Landeszentrale für politische Bildung BW, Lehren & Lernen, der Weg des Erinnerns – Der Leidesweg
der Zwangsarbeiter.
[10] Das Niederbühler „Urgestein“ und Heimatforscher war zur Zeit des Grauens sieben Jahre alt.
[11] vgl.: Bernd Boll, Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs in Baden, http://dl.ub.uni- freiburg.de/diglit/schauinsland1992/0197
[12] Bilder aus Privatsammlung Klaus Herrmann, Niederbühl. „Au camp de concentration Niederbühl (Bade-Allemagne), Fevrier 1945
[13] Das „International Center on Nazi Persecution“ hält eine Datenbank des Grauens vor, die vom
Auswärtigen Amt finanziert wird.
[14] Unter der Adresse: https://collections.arolsen-archives.org/de/search?s=Niederb%C3%BChl finden Sie weitere 20 Datensätze in Todeslisten und Gefangenenbüchern von Niederbühler Bürgern.
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