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Geiseln der Menschheit: Krieg und Pest rund um Niederbühl

Aktualisiert: 28. Apr.

Von Wolfgang Braun
Zweite, überarbeitete Version vom Dezember 2024.
Vielen Dank an unser Gründungsmitglied Wolfgang Braun für seine wertvollen historischen Beiträge und seine Unterstützung als Autor im Heimverein Niederbühl-Förch e.V.

Weltweit jagt(e) die Corona-Pandemie den Menschen Angst und Schrecken ein.

Die Auswirkungen sind bis heute noch zu spüren. Aber Pandemien sind nichts Neues. [1] Laut Schätzungen von Wissenschaftlern raffte allein die Pest, deren erste große „Welle“ in Mitteleuropa 1346/47 ausbrach und 1353 endete, mehr als 25 Millionen Menschen dahin; dies war rund ein Drittel der Bevölkerung. Es ist eine schlimme Redensart, wenn man sagt: „Da kann er warten, bis er schwarz wird“, weist sie doch auf die damals unheilbare Krankheit – auch „schwarzer Tod“ genannt – hin. Neben der Pestepidemie überzog weiteres Leid den größten Teil Europas: Der Dreißigjährigen Krieg.


In diesem Krieg (1618 bis 1648), der zugleich Bürgerkrieg, Religionskrieg und Hegemonialkrieg war, „regierten“ – neben regulären Truppen – wilde Söldnerhorten. Unter Missachtung (fast) jeglicher Menschenrechte gehörten Vergewaltigungen und Verschleppungen junger Frauen und Mädchen für viele Solda­ten zum alltäglichen Beutemachen. Entführun­gen, um Lösegeld zu erpressen, und Folterungen, damit die Bauern die Verstecke von Lebensmit­telvorräten und anderem Wertvollen verrieten, waren an der Tagesordnung. Eine der wohl berüch­tigtste Foltermethode war das gewaltsame Ein­trichtern von Jauche, der sogenannte Schwedentrunk.


Ganz besonders von der Geisel des Dreißigjährigen Krieges war das Deutsche Reich betroffen, wobei zu beachten ist, dass dieses Staatengebilde das größte und bevölkerungsreichste Europas war. Es umfass­te nicht nur das heutige Deutschland und Österreich, sondern auch Tschechien, Norditalien, Süddänemark, Ostfrankreich und Westpolen. Der Historiker Axel Gotthard weist darauf hin, dass

 „… schon die Zeitgenossen (…) Kriegsexzesses sahen, die schlimmer waren, als alles, wovon man seit Men­schengedenken je gehört hatte.“  [2]

Hans Heberle (1618–1672) war Schuster in der Nähe von Ulm und einer der wenigen Zeitzeugen, der seine eigenen, furchtbaren Erlebnisse aufzeichnete. Mit erschütternden Worten berichtet er im „Zeytregister“, wie er durch Überfälle und auf der Flucht seine gesamte Familie samt Hab und Gut verlor. Nachdem rund um seine Heimatstadt Felder verwüstet und Tiere beschlagnahmt wurden, gibt er als hungernder Überlebender folgenden Rat:

„Es ist auch für gut gehalten worden allerley kraut uff dem feld: die distel, die nesle (…), dan der hun­ger ist ein guter koch, wie man im sprichwort sagt. Dan durch diese hunger ist ein grosser ster­bet und pestelentz (Anm.: Plage und Seuche) entstanden, das vüll taussend menschen gestorben.“ [3]

Aus Städten, die mehrmonatige Belage­rungen zu erdulden hatten (den traurigen Rekord führt Nürnberg an), häuften sich Berichte über Kannibalismus. So schreibt der bereits genannte Schuster Heberle 1638 in Breisach:

 „Es haben die soldaten ei­nem (…) knaben ein stuckh brot ver­sprochen, er soll mit inen in das leger gehen. Als er aber dahin komen, haben sie in gemetzget und gefreßen“.

Auch in unserer Heimat hielten Krieg, Pest und weitere Seuchen ihre überaus reichhaltige große „Ernte“. Von der Pest sprach man von einem „großen Sterbendt“, [4] das mehr Opfer unter der Bevölkerung forderte als der Dreißigjährige Krieg selbst.

Dreißig Jahre Krieg, Hunger und Seuchen in unserer Heimat

Dieses „Sterbendt“ beschreibt auch Johann Jacob Christoph von Grimmelshausen (1621-1676). Sein 1668 erschienenes Werk, der „Abentheurliche Simplicissimus Teutsch", gehört als eines der ersten Werke, geschrieben in deutscher Sprache, zu den Höhepunkten der Weltliteratur.

Der Schriftsteller beschreibt seine eigenen Erfahrungen im Krieg und der Pest als „menschengemachte Katastrophe“, der sich kaum jemand entziehen konnte. Heute erinnert noch das Gasthaus „Silberner Stern“ in Gaisbach (Ortsteil von Oberkirch), wo er als Wirt und Schriftsteller tätig war. Ab 1667 arbeitete er als Schultheiß von Renchen im Dienst des Fürstbischofs von Straßburg. [5]


Fast vor unserer Haustüre liegend, lies im Jahre 1426 Markgraf Jakob I. von Baden das Kloster Fremersberg errichten, das im Dreißigjährigen Krieg von schwedischen Truppen total verwüstet wurde. Heute erinnert nur noch der Name des Weingutes „Klostergut Fremersberg“ an das nicht mehr vorhandene Kloster.


Keine 20 Minuten Autofahrt davon entfernt wurde Markgrafen Bernhard II von Baden (um 1428–1458) auf dem Schloss Hohenbaden (s´alte Schloss) geboren. Er lebte zwar ca. zwei Jahrhunderte vor dem Dreißigjährigen Krieg, hatte aber – wie tausende Menschen vor und nach ihm – Krieg und Pest nicht überlebt. Auf einem der späten Kreuzzüge starb er in Moncalieri nahe Turin in Oberitalien an der Pest.


Als Landespatron Badens wird er seit 1769 als der „selige Bernhard“ bezeichnet. Das Bild zeigt ihn auf dem Rastatter Bernhardusbrunnen auf dem Marktplatz. [6]

Warum tobten gerade im heutigen Mittelbaden so viel „Noth und Elende“?

Die Archivalien des Generallandesarchives in Karlsruhe zeigen Landkarten mit massiven Truppenbewegungen in der Rheinebene. Auf dieser Spur des Todes verloren nachweislich auch Bewohner von Niederbühl, Förch und Kuppenheim ihr Leben. [7] Das ehemals bedeutende Dorf Förch wurde im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden komplett niedergebrannt.


Ganze Familien wurden ermordet. Vielen Überlebenden blieb oft nichts anderes übrig, als sich dem Tross der durchmarschierenden Heere z. B. als Prostituierte, Laufburschen, Viehtreiber, Gepäckträger, Bettler an­zuschließen.


Wo aber so viele Menschen auf dichtem Raum zusammenleben mussten, noch dazu ohne fes­tes Dach über dem Kopf grassierten oft Seu­chen, deren Krankheitserreger über das ganze Land verbreitet wurden. Kaum vorhandene Hygienemaßnahmen, förderte die Übertragung der „unheilbaren“ Krankheit, der Pest, sodass der Chronist feststellen musste, dass auf dem verbrannten Land des ehemaligen Förch, nur wenige Menschen die Ortschaft neu aufbauten.

Folgenden Worten des bereits genannten Heinz Heberle ist nichts hinzuzufügen: [8]

„In summa ist es so ein jämerlicher handel geweßen, das sich einem stein solt erbarmet haben, wüll geschweigen ein menschliches hertz. Dan wir seyen gejagt worden wie das gewildt in wälden.“

Im Gegensatz zu den Bürgern Förchs erging es den benachbarten Kuppenheimern etwas besser. Zwar kämpfte man auch dort nicht nur gegen Seuchen, die sich in den engen, von Stadtmauern eingeschlossenen Gassen rasend schnell verbreiteten, sondern auch gegen Schwedische Truppen, die – wie erzählt wird – die Stadt belagerten um diese auszuhungern.

 

Die Bewohner wollten den Feind glauben lassen, dass man noch genug Vorräte habe. Man raffte die letzten Pfund Mehl zusammen. Daraus stellten die Frauen Spätzle, auch Knöpfle genannt her und schossen diese mittels einer Kanone über die Stadtmauer. Die Idee ging auf und der Feind zog ab; die Pest blieb zurück.

Auf der Suche nach Schuldigen

 

All das Elend wurde als Heimsuchung, Fügung Gottes oder Vorsehung empfunden.

 

Folgerichtig stellte sich die Frage: Wer trägt die Schuld daran? Allzu oft wurden die Juden als vermeintliche Übeltäter und Brunnenvergifter zur Verantwortung gezogen, was sich in zahlreichen Pogromen äußerte.

 

In Südfrankreich galt das gängige Wort: „Gott ist der wahre Arzt“. Verordnete Therapien zur Linderung der Not sah man in Gelübden, Pilgerschaften, Gottesdiensten und in immer wiederkehrenden Bittprozessionen. Außerdem weihte man Kirchen, Kreuze und Bildstöcke auf den Namen des Rochus von Montpellier (geb. 1349), dem Schutzpatron gegen die Pest, in dessen Heimatstadt täglich bis zu 500 Menschen starben.


Das Bild, vom Autor auf dem Jakobsweg fotografiert, zeigt die typischen Attribute des Heiligen Rochus, nämlich den Pilgerstab, den Brot bringenden Hund und die Pestbeule am Oberschenkel.


Rochus verschenkte sein Vermögen an Arme und begab sich auf Pilgerschaft. In Oberitalien pflegt er Pestkranke, und wurde dabei selbst von der Seuche befallen. Im Spital wegen seiner Armut nicht geduldet, zog er sich in eine Hütte des nahen Waldes zurück, um dort zu sterben.


Eine Quelle entsprang, um ihm Wasser zu geben. Der Hund eines benachbarten Edelmanns brachte ihm täglich Brot und leckte seine Pestbeulen. Schließlich erschien ein Engel, der Rochus heilte. Zurück in Frankreich erkannte ihn niemand. Er wird als vermeintlicher Spion in den Kerker geworfen. Nach fünfjähriger Gefangenschaft starb er im Jahr 1379.

Zurück in unsere Heimat

Die kleine Kapelle St. Sebastian-Rochus in Rotenfels (Ortsrand Richtung Ortsteil Winkel) „erzählt“ eindrucksvoll von den inständigen Gebeten der Gläubigen und ihrer Not im ohnmächtigen Kampf gegen die damals unbesiegbaren Seuchen. [9] Vor der jetzigen, im Jahr 1752 fertiggestellten Kapelle, stand ein „Heiligenhäuslein“, das auf ein Seuchengelübde zurückgehen soll.

Aber auch in Michelbach erinnert – wenige Höhenmeter über der Pfarrkirche – ein eindrucksvolles Pestkreuz, errichtet gegen die „Gottesgeißel“. Es ist bis heute steingewordenes Symbol der Hoffnung in jährlich stattfindenden Flurprozessionen.


Aber gerade bei solchen Bus- und Bittprozessionen, die den Zorn Gottes besänftigen sollten, steckten sich die Menschen vermehrt an.


Das Kreuz trägt die Jahreszahl 1689.








Im Jahr 2018 jährte sich der Beginn des Dreißigjähri­gen Krieges zum 400. Mal; das Kriegsende, besiegelt im West­fälische Frieden, zum 370. Mal. Lange galt dieser Krieg bei Historikern als eine nicht steigerbare Urkatastrophe der Deutschen“. [10]

 

Leider haben weitere Kriege, vor allem die beiden Weltkriege gezeigt, dass die, vor 400 Jahren begonnene 30jährige Zeit der Menschenverachtung, eine von deutschem Boden ausgehende Steigerung erfuhr.


Da beim Friedensschluss zu Osnabrück und Münster auch die Großmächte „Pate standen“, wurde in fast fünf Jahre dauernden Verhandlungen eine gut 150 Jahre bestehende Friedensordnung in Europa geschaffen, die erst wieder mit den Napoleonischen Feldzügen infrage gestellt wurde.

 

Wünschen wir eine ähnlich lange dauernde Friedensphase zwischen Israelis und Palästinenser sowie zwischen Russen und Ukrainern und vielen weiteren Kriegsparteien unserer Zeit.


Herausgeber

Heimatverein Niederbühl-Förch e. V.

Autor (Text- und Gestaltung)

Zweite, überarbeitete Version vom Dezember 2024.

Blogbeitrag (Gestaltung)

Erstellt vom Heimatverein Niederbühl-Förch durch Marcus Wirth

Text- und Bildquellen

Sofern nichts anderes vermerkt ist, stammen die Fotografien und Texte von Wolfgang Braun
  1. Dieser Artikel beschränkt sich auf die Auswirkungen der Pest, wohl wissend, dass z. B. die Spanische Grippe, die Pocken-Pandemie, Ebola-Fieber, Cholera, HIV und viele anderen Seuchen Millionen Menschen das Leben kostete.

  2. Axel Gotthard, Der Dreißigjährige Krieg, eine Einführung, Köln 2016.

  3. vgl.: „Aus Politik und Zeitgeschichte“, Bundeszentrale für politische Bildung 2018, S. 13 f.

  4. Den Begriff „Sterbendt“ benutze der Söldner Peter Hagendorf auf den Märschen seiner Einheit von Muggensturm, Ettlingen, Pforzheim, Weil der Stadt und zurück über, Durlach, Rastatt, Steinbach, Renchen, Oberkirch (mit Einnahme der Stadt), dann Schloss Wildenstein, wieder nach Rastatt und weiter nach Württemberg.

  5. Sie können jeden Sonntag zwischen 15.00 und 18.00 Uhr im Simplizissimushaus zu Renchen auf Spurensuchen gehen.

  6. Bildquelle: Wolfgang Braun

  7. Das heutige Mittelbaden lag an der sog. „Zerstörungsdiagonale“, welche von der Pfalz bis an die Schweizer Grenze reichte.

  8. Heinz Heberle, a. a. O., S. 15

  9. Bildquellen: Wolfgang Braun

  10. Vgl. u. a. Silvia Kählert: https://www.condor.cl/2018/05/14/dreissigjaehriger-krieg/

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