Niederbühl und Förch im Mittelalter Teil 1
- Heimatverein Niederbühl-Förch
- 7. Mai
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Mai
Von Wolfgang Braun
Erste Version vom Mai 2025.
Vielen Dank an unser Gründungsmitglied Wolfgang Braun für seine wertvollen historischen Beiträge und seine Unterstützung als Autor im Heimverein Niederbühl-Förch e.V.
Dorfgründungen in spannenden Zeiten
Die Gründungen von Niederbühl und Förch liegen – wie viele andere Orts- und Stadtgründungen auch – im 11. Jahrhundert. Dieses war in Mitteleuropa eine relativ friedliche und ruhige Zeit. Die Menschen lebten überwiegend von der Landwirtschaft, die von technischen Neuerungen wie dem Wendepflug, dem Kummet und dem Hufbeschlag von Pferden profitierte. Die Lebensbedingungen der Menschen verbesserten sich dadurch erheblich, was u. a. zu einem Bevölkerungswachstum und zum Aufblühen des Handels führte.
Von 1024 bis 1125 regierten die Salier das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“. |
Die Salier waren ein ostfränkisches Adelsgeschlecht, angesiedelt in unserer unmittelbaren Heimat, zwischen Worms und dem heutigen Landkreis Rastatt, hinüber bis in den Kraichgau. Kein anderer als der berühmte Salierkaiser Heinrich IV. hat die Gründungsurkunde von Niederbühl im Jahr 1057 unterzeichnet. Anstelle seines Namenszuges findet man auf der Urkunde allerdings nur ein Kreuz, was nicht verwundert, denn zu dieser Zeit konnten selbst Könige und Kaiser nicht unbedingt lesen und schreiben.
Berühmt wurde Heinrich IV. vor allem wegen des sogenannten Investiturstreits (1073-1122), den er mit Papst Gregor VII. führte. In der Auseinandersetzung ging es darum, wer von beiden die Macht haben sollte, Bischöfe und andere Kirchenmänner zu bestimmen. Heinrich IV. unterlag in diesem Streit und musste letztendlich zum Bitt- und Bußgang nach Canossa aufbrechen, um der Strafe der Exkommunizierung zu entgehen. Zu der Rechtskräftigkeit der Urkunde genügte, dass der Kaiser – anstatt seines Namenszuges – ein Kreuz auf das Dokument schrieb. [2]

Hier ein Textauszug der Gründungsurkunde:
„Heinrich schenkt der bischöflichen Kirche zu Speyer das Gut (Nieder-) Bühl im Ufgau mit der Auflage, dass aus dessen Einkünften am Grabe Kaiser Heinrichs III. eine ewige Lampe unterhalten werde. Worms 1057 April 5.“

Mit der Gründung ging Niederbühl – seit 1057 Puhile, ab 1355 Nidern Buhel [4] genannt – in den Machtbereich des Bistums Speyer über. Zwischenzeitlich im Besitz der Ebersteiner Grafen, fiel der Ort im späten 14. Jh. an die Markgrafen von Baden.
Zur Gründung Förchs liegen zahlreiche Quellen vor. So beschreibt z. B. Albert Krieger [5] in seinen Aufzeichnungen Förch im Jahr 1207 unter dem Namen Forhohe, 1264 als villa Forech, 1341 als Forhaich, 1369 als Vorech, 1434 Forech und letztendlich 1579 unter dem Namen Förch. Im zweiten Band des genannten „Topografischen Wörterbuches“ lesen wir zur Einwohnerzahl, verzeichnet im Pfarrbuch des Jahres 1683:
„Niderbuehl; pagus hic 44 familiarum et Forich 20 familiarum …“
Siedlungsformen in unserer Heimat
Hofstätten: Basis des Gemeindelebens
Aus der extrem dünnen Besiedelung resultiert, dass Bauern mit ihren Familien im frühen Mittelalter in Einzelhöfen lebten. Dörfer und Städte in unserem Sinne – mehrere Häuser stehen dicht an dicht nebeneinander – waren selten. Eine Hofstatt (Gehöft / bäuerliches Anwesen) bestand aus dem Wohnhaus, Wirtschaftsgebäuden, Ställen und einem umzäunten Garten.

Bis in die Neuzeit hinein bestand das Baumaterial für Gebäude aus Holz und Lehm, was oft verheerende Folgen bei Feuersbrünsten hatte. Von wenigen Resten mittelalterlicher Bauweisen zeugt in Niederbühl in einem Hof in der Grünewaldstraße die Außenwand einer Scheuer.
Zu den Mittelpunkten ländlicher Siedlungen gehörte u. a. eine Kirche bzw. Kapelle.

Ein mittelalterliches Gemeinwesen hatte mindestens ein öffentliches Backhaus, einen Fronhof [7] (öffentliche Scheune) zur Lagerung der Abgaben und das Haus des Vogtes (ab dem 16. Jahrhundert ein Rathaus). Berufsspezifische Arbeitsteilungen (Schmied, Schuhmacher, Zimmermann, Bäcker …) bildeten sich erst im späten Mittelalter aus. [8]
Manchmal vergaß man den harten Alltag beim Besuch eines Wirtshauses. Das bereits genannte topografische Wörterbuch nennt (leider ohne Jahresangabe):
„Niederbühl, Dorf mit Engelswirtshaus“.
Die älteste schriftlich vorliegende Quelle eines Pfarrers in Niederbühl / Förch stammt aus einer Urkunde vom 2. März 1355. Hierin wird u. a. auf das Wirken des Pfarrers Sifrid hingewiesen.
Man bezeichnete ihn als:
herre Sifrid von Vorech, kirchherre zü Bühel 1360. [9]
Der Urkundentext lautet auszugsweise: [10]
„Walram von Trier, Propst zu St. German vor Speyer, regelt unter Zuziehung … des Pfarrers Sifrid [11] in Niederbühl … und anderer Personen sowie mit Konsens von Äbtissin und Konvent zu Lichtenthal die Kompetenz des Pfarrers in Haueneberstein aus den Erträgnissen der Pfarrei, die dem Kloster Lichtenthal inkorporiert ist.“ [12]
Niederbühl und Förch, Spielball mittelalterlicher Machtstrukturen
Der Anfang des Kinderliedes „Im Märzen der Bauer …“ geht davon aus, dass der Bauer seine Felder und Wiesen instand hält.
„ … er setzt seine Felder und Wiesen in Stand.“
Davon konnten ca. 90 % aller im Mittelalter schufteten Bauern nur träumen, denn es waren nicht ihre Felder; diese gehörten vielmehr einem Grundherrn.
Das Lehnswesen und die Grundherrschaft waren zentrale Elemente der mittelalterlichen Gesellschaft. Hier vergaben Könige, Adlige und Klöster Land als Lehen an „freie Bauern“, sog. Vasallen, [8] die sich im Gegenzug zu Treue und militärischen Diensten sowie zu Abgaben verpflichteten. Der Lehnsherr gab dem Lehnsmann im Gegenzug eine Lebensgrundlage und gewährte ihm Schutz.
Der Jubelruf des wohl berühmtesten Lehensempfängers der Literaturgeschichte aus dem Jahr 1220 stammt aus der Feder des Minnesängers Walter v. d. Vogelweide. Mit überschwänglicher Dankbarkeit blickte er im hohen Alter [9] auf ein entbehrungs-reiches Leben zurück, welches er gerade so am Existenzminimum fristete. In der Universitätsbibliothek zu Heidelberg ist die Manessische Handschrift zu besichtigen. Darin ist Walters berühmter Jubelruf zu finden.
Ich hân mîn lêhen, al die werlt, ich hân mîn lêhen.
Nach vielen Jahren des poetischen Vagabundierens hatte Walther einen Gönner gefunden, der durch die Gewährung eines Lehens sein materielles Elend beendete.

Beide Systeme (Lehen und Grundherrschaft) verstärkten die Ständeordnung und bildeten die Basis des Feudalismus, der die wirtschaftliche und politische Struktur des Mittelalters prägte.
In unserer Region waren „Geistliche“ [16] Grundherren u. a. der Bischof von Speyer, das Zisterzienserkloster Herrenalb und das Nonnenkloster Lichtenthal. „Weltliche“ Grundherren waren u. a. die Markgrafen von Baden und die Grafen von Eberstein.
Das Grundprinzip der Grundherrschaft ist Nehmen und Geben, was folgendes Zitat, aus dem Jahre 1287 beschreibt. Im Schwabenspiegel lesen wir:
"Wir sullen den herrn darumbe dienen, daz sie uns beschirmen. Beschirmen sie uns nit, so sind wir inen nicht dienstes schuldig." [17]
Ein Lehensvertrag wurde vor Zeugen per Schwur (Treueeid) abgeschlossen und konnte vererbt werden.
Folgendes Dokument zeigt einen Ausschnitt einer mehrseitigen Urkunde (Briefkopf eines Erblehensbriefes) von Markgraf Ludwig Georg. Er regelt die Eigentumsverhältnisse eines Niederbühler Müllers.
„Erblehenbrief aus dem Jahr 1745 des Markgrafen Ludwig Georg Simpert von Baden-Baden an Hans Mich, Müller zu Niederbühl über die neue Mühle gegen 45 Malter Gült an den Speicher in Baden-Baden und 10 Malter an das Jesuitencollegium daselbst.“ [18]

Das Malter ist ein Getreidemaß, welches in Sester geteilt wurde. In Baden hatte das Malter 10 Sester zu 10 Meßlein und betrug ca. 150 Liter.
Das Schaubild zeigt das hierarchische Machtgefüge im Mittelalter, zementiert in einer „von Gott gewollten Ordnung“. Oberster Lehensherr waren König/Kaiser, dessen Legitimation sich auf Gott beruft, gefolgt von Klerus (Bischöfe, Äbte) und danach der Adel. Den Dritten Stand bildeten die Bauern.

Bis in das 14. Jahrhundert hinein blieb jeder Mensch ein Leben lang in dem Stand, in den er hineingeboren worden war. |
Am Ende dieses Abschnittes soll exemplarisch auf den Dauerstreit zwischen Zehntgeber und Zehntnehmer hingewiesen werden. Das Generallandesarchiv dokumentiert zu Niederbühl, Förch und Kuppenheim eine Vielzahl von Dokumenten des „Zehntstreites“, von denen drei Beispiele aus dem Jahr 1577 wörtlich wiedergegeben werden: [20]
„Beschwerde des Pfarrers von Niederbühl über das unrechtmäßige Verzehnten der Kuppenheimer in Niederbühl“
„Streitigkeiten zwischen der Stadt Kuppenheim und den Gemeinden Niederbühl und Förch wegen Lieferung des Zehntweins, der nach Verordnung alsbald von der Kelter zu liefern ist“
Folg. dokumentierter Streit zwischen dem Pfarrer und der Schlossverwaltung zu Favorite, datiert aus dem Jahr 1737, also vier Jahre nach dem Tod der Markgräfin Franziska Sibylla Augusta von Sachsen-Lauenburg, Ehefrau des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden („Türkenlouis“)
„Entschädigungsanspruch des Pfarrers Warth von Niederbühl wegen Verlust des Zehnten aus Äckern, die zur Favorite gezogen wurden“
Hier eine kleine Auswahl von gängigen Redewendungen des Mittelalters, die wir auch heute noch verwenden: |
„Brief und Siegel geben“
Wichtige Mitteilungen mächtiger Personen mussten fälschungssicher sein. Um dem Empfänger der Nachricht die Echtheit des Schreibens zu versichern, wurden Briefe oder Schriftrollen versiegelt. Heute meint die Redewendung: Etwas garantieren.
„Feuer unter den Hintern machen“
In den Burgen waren nur die wenigsten Räume beheizt. So konnte man sich nur wärmen, wenn man ein Sitzfass hatte. Das wurde gefüllt mit heißen Steinen und so lange wie man darauf saß, hatte man Feuer unterm Hintern.
„Etwas von der Pike auf lernen“
Lanzen und Hellebarden (Piken, Pikiere) waren im Mittelalter bevorzugte Waffen der unteren Soldatenränge. Wer in der Zeit was werden wollte, musste den Dienst unten anfangen, also mit der Pike kämpfen und darauf seine Laufbahn über die Zeit aufbauen.
„Jemanden die Suppe versalzen“
Im Mittelalter war Salz sehr teuer. Nur die Reichsten könnten sich dieses Gewürz leisten. Um bei einem großen Fest zu prahlen, versalzten die Reichen die Suppe. Auch Pfeffer war sehr teuer, so benutzt man heute noch den Ausdruck für zu hohe Preise: gepfefferte Preise.
„Steinreich sein“ – sehr wohlhabend sein.
Im Mittelalter waren die Häuser der einfachen Menschen aus Holz gebaut und nur sehr wohlhabende Menschen konnten sich Häuser aus Stein leisten.
Herausgeber: Heimatverein Niederbühl-Förch e. V.
Autor (Text- und Gestaltung): Wolfgang Braun http://www.braun-wolfgang.de/ Version: Erste Version vom Mai 2025
Blogbeitrag (Gestaltung): Erstellt vom Heimatverein Niederbühl-Förch durch Marcus Wirth
Text- und Bildquellen
Sofern nichts anderes vermerkt ist, stammen die Fotografien und Texte von Wolfgang Braun.
Der Kaiser war bei der Urkundenunterzeichnung sieben Jahre alt!
Bildquelle, Generallandesarchiv Karlsruhe, A Nr. 92
puhile steht für Bühl (Hügel / Buckel), Nidern Buhel somit für niederer Hügel, wohl in Abgrenzung zur heutigen Stadt Bühl. Seit 1102 taucht kurzzeitig auch die Ortsbezeichnung Hirschbühl auf, worauf auch heute noch der Hirschbühlweg hinweist.
Krieger: Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden, Heidelberg, 1905, S. 336, Band 2, Heidelberg, 1905, S. 336, Band 2; Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.2351
Bildquelle: Generallandesarchiv Karlsruhe, Katalog „Spätmittelalter am Oberrhein“ Nr. 9
Der zentrale Fronhof des Klosters Lichtental lag in Haueneberstein.
Das Frühmittelalter bezeichnet die Zeitepoche von 500 bis 1050, das Hochmittelalter bis 1250, und das Spätmittelalter bis 1250 bis 1400.
Krieger: Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden, Heidelberg, 1905, Band 2, S. 336, https://doi.org/10.11588/diglit.2351
Text und Bildquelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, Findbuch 35 Nr. 184
Er selbst bezeichnete sich als „Syfriden von Voerhech, Kirchherr zu Buehl“.
Kompetenz ist das Einkommen des Pfarrers, das sich weitestgehend – neben Spenden – aus anteiligen Zinseinnahmen von Pfründen und des Zehnten zusammensetzte; inkorpieren = eingliedern; lateinisch incorporare = einverleiben
Vasallen sind nicht zu verwechseln mit Leibeigene.
Wenn von einem „hohen Alter“ die Rede ist, sei zu bedenken, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in dieser Zeit zwischen 30 und 35 Jahren lag.
Universitätsbibliothek Heidelberg, Plöck, 107-109, Heidelberg
Die Begriffe stehen zwischen „ “, weil eine exakte Trennung nicht möglich ist, waren u. a. fast alle Äbtissinnen des Klosters Lichtenthal aus dem Adelsgeschlecht des Badischen Markgrafenhauses.
Der Schwabenspiegel nach einer Handschrift vom Jahr 1287 (Bibliotheca rerum historicarum), zitiert nach: www.jstor.org/stable/20740636?seq=1
vgl.: http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1331340-1
Bildquelle: Fotomontage Wolfgang Braun
http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-4446464; hier: „Spezialakte der kleineren Ämter und Orte“, Findbuch 229 Nr. 7465/75567/74660
Comments