Folge 13 von Wolfgang Braun
Erstellt im Juli 2021. Digitalisiert vom Heimatverein Niederbühl-Förch e. V. im Dezember 2021
Vielen Dank unserem Gründungsmitglied Wolfgang Braun, dass wir seinen Artikel hier veröffentlichen dürfen.
Mehr Infos: www.braun-wolfgang.de
Seit das Altenwerk unserer Pfarrgemeinde in der Sommerzeit Reisen organisiert (und das seit über 50 Jahren), standen immer wieder mittelalterliche Städte und Dörfer als gern besuchte Ziele auf dem Programm. Man erfreute man sich u. a. in Gengenbach, Zell am Harmersbach, Ettenheim, Waldkirch, Calw, Kenzingen, Herrenberg, Wertheim an der mittelalterlichen Stadtarchitektur. Begeistert waren die Teilnehmer von der Klosterbaukunst mittelalterlicher Baumeister, z. B. in Alpirsbach, Maulbronn, Hirsau. Über die Baukunst der Kathedralen des Mittelalters erübrigt es sich, ein Wort zu „verlieren“. Somit bietet es sich an, in dieser reisefreien Corona-Zeit etwas mehr über das Leben im Mittelalter, speziell in Dörfern unserer Region zu erfahren.
Das Bild zeigt einen Teil unserer Gruppe bei der Stadtführung durch die „Herrmann Hesse-Stadt“ Calw.
Wie kaum eine andere Landschaft wurde der Oberrhein im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ zu einem Brennpunkt europäischer Machtpolitik. Unsere Heimat war Schauplatz von zahllosen Kriegen, verbunden mit Truppendurchzüge, Plünderungen, Vergewaltigungen, Zerstörungen, Hungersnöte aber auch Seuchen und Hexenverbrennungen. Kurzum: Not und Elend waren die unausbleiblichen Folgen für den "gemeinen Mann", also für Bauersleute. Ein Blick in die Not eröffnet das Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA 71/K 161), wo das Leid eines zwischen Kuppenheim, Niederbühl und Förch arbeitenden Kuhhirten aus dem Jahr 1459 beschrieben wird.
„Martin Schweig, sonst Semlin genannt, ein Gemeinsmann und jetzo Kuhhirt zu Kuppenheim, [sagt,] er habe nit allein in die 27 Jahr als ein Hirt zu Niederbühl gehütet, sondern auch sein lieben Vater und Mutter samt seinem vorigen Weibe mit 35 zehn Kindern selig daselbst begraben liegen, er sei ungeverlich uf 56 Jahr alt und sunst leider ein armer Gesell.“
Bei Martin Schweig hätte die Frage, weshalb man die Verbindungsstraße, die in Förch an der Favoritestraße Richtung Kuppenheim links abbiegt, „Allmendweg“ nennt, nur Kopfschütteln hervorgerufen. Dem Kuhhirten war klar, dass es sich bei Allmend um eine sog. Gemeindeflur handelt, also um Nutzflächen, die der Allgemeinheit zustehen. Hierzu gehörten Weiden, Flüsse, Wälder und Seen. In diesen exakt abgegrenzten Bereichen durfte jeder im Wald Holz hacken, seine Kühe auf die Wiese schicken, Wasser aus dem Fluss schöpfen, oder – an begrenzten Flächen – aus dem nahegelegenen Landsee Fische fangen. Dieses Recht stand nicht im Gegensatz zu der Tatsache, dass Bauern – und dies waren über 90 % der Bevölkerung – kein Eigentum an Äckern besaßen. Um das Allmendsrecht rankten sich heftige Diskussionen und Streit, sodass man im späten Mittelalter überging, dieses per Vertrag zu regeln, was das Generallandesarchiv Karlsruhe in einer 19seitigen Urkunde (Findbuch 37 Nr. 2548 vom 4. Oktober 1570) dokumentiert.
Dort findet sich ein „Vertrag zwischen der Stadt Kuppenheim und den Dörfern Niederbühl und Förch über Almenden, Waidenplätze und Erhaltung von Straßen.“
Quelle: Landesarchiv_Baden-Wuerttemberg_Generallandesarchiv_Karlsruhe_37_Nr._2548_Bild_1_(4-1330693-1)
Seit dem 8. Jahrhundert, also zu der Zeit der Karolinger erhielten Bauern als sog. Vasallen von einem Lehnsherrn meist ein vererbbares Nutzungsrecht an Sachen, z. B. Äckern, dem Lehen. An der Spitze dieser „Grundherrschaft“ standen Kaiser oder König, dann kamen Adlige und Kirchenvertreter sowie Ritter. In diesem System des Feudalismus standen die unfreien Bauern am Ende dieser Lehenspyramide. Lehnsherr und Vasall schworen einander, nichts zum Schaden und alles zum Nutzen des anderen zu tun. Der Vasall versprach seinem Lehnsherrn Gehorsam und verpflichtete sich zu Diensten wie der Heeresfolge. 36
Das Lehensverhältnis war somit ein auf Gegenseitigkeit basierender Vertrag einer fest gefügten Ständeordnung. Bis in das 14. Jahrhundert hinein blieb jeder Mensch ein Leben lang in dem Stand, in den er hineingeboren wurde. Untergeordnete Instanzen in unserer Region waren auch die Äbtissinen des Klosters Lichtental, in dessen Einzugsbereich die meisten Ländereien vor allem rund um Förch gehörten.
Aber auch der Vasall konnte Lehnsherr sein und einen Teil seines Besitzes an Untervasallen weitergeben, was u. a. die Ritter von Ebersteinburg praktizierten, waren Sie doch gleichzeitig Lehensempfänger und Lehensgeber. In der urkundlich belegten Anfangszeit Niederbühls übte die sog. Grundherrschaft in oberster Instanz Kaiser Heinrich IV. aus. Die Gründungsurkunde von Niederbühl, ausgestellt in Worms, besiegelte die Übertragung des Eigentums an das Bistum Speyer.
„Heinrich schenkt der bischöflichen Kirche zu Speyer das Gut (Nieder-) Bühl im Ufgau mit der Auflage, dass aus dessen Einkünften am Grabe Kaiser Heinrichs III. eine ewige Lampe unterhalten werde. Worms 1057 April 5.“
Diplome Heinrichs IV. Worms 1057, DD HIV Nr. 277, entnommen aus: www.hist-hh.uni-bamberg.de
Da die Bauern das Lehen nicht als Geschenk, sondern zur Leihe erhielten, mussten sie beträchtliche Anteile der Ernte abtreten. Im süddeutschen Raum legte der um 1275 niedergeschriebene „Schwabenspiegel“ die Pflichten auf Gegenseitigkeit fest:
„Wir sullen den herrn darumbe dienen, daz sie uns beschirmen. Beschirmen si uns nit, so sind wir ine nicht dienstes schuldig.“ 37
Doch Regeln und Realität waren zweierlei. So berichtet der Mönch Caesarius von Heisterbach (Rheinland) um 1240 von einem Ritter namens Ludolf, dem ein Bauer auf der Straße mit seinem Ochsenkarren entgegenkam. Dabei wurden die Gewänder des Ritters mit Schlamm bespritzt. Der Ritter geriet in Wut, zog sein Schwert, schlug dem Bauern den Fuß ab.
Ein Lehensvertrag wurde vor Zeugen per Schwur (Treueeid) abgeschlossen und konnte vererbt werden. Folgender Ausschnitt einer Urkunde zeigt einen …
„Erblehenbrief aus dem Jahr 1745 des Markgrafen Ludwig Georg Simpert von Baden-Baden an Hans Mich, Müller zu Niederbühl über die neue Mühle gegen 45 Malter Gült an den Speicher in Baden-Baden und 10 Malter an das Jesuitencollegium daselbst.“
Quelle: www2.landesarchiv-bw.de Ausschnitt einer mehrseitigen Urkunde eines Erblehensbriefes von Markgraf Ludwig Georg. Bildquelle: GLA KA Findbuch 37 Nr.3118_Bild1 (4-1331340-1
Das Malter ist ein Getreidemaß, welches in Sester geteilt wurde. In Baden hatte das Malter 10 Sester zu 10 Meßlein und betrug ca. 150 Liter. Dass die Höhe der Abgaben (Erlöse aus Fronarbeit) regelmäßig zu Streit führten zeigt eine Beschwerde aus dem Jahr 1452, im Internet zu finden im: „Generallandesarchiv Karlsruhe Findbuch 173, Nr. 172.“
„Beschwerden der oberen Dörfer des Amts Kuppenheim, Haueneberstein, Niederbühl, Förch, Rauental, Oberndorf, Gaggenau, Rotenfels, Bischweier, Ober-, Nieder- und Waldprechtsweier wegen der Fron, das Brennholz zum fürstl. Hoflager fahren zu müssen, das vordem den Klöstern Schwarzach, Lichtental, Herren- und Frauenalb auferlegt gewesen war.“
Herausgeber
Pfarrgemeinde St. Laurentius Niederbühl, in der Kirchengemeinde Vorderes Murgtal, vertreten durch das Gemeindeteam.
Autor (Text- und Gestaltung)
Wolfgang Braun http://www.braun-wolfgang.de/
Erstellt im Juli 2021
Blogbeitrag
Erstellt im Dezember 2021 vom Heimatverein Niederbühl-Förch durch Marcus Wirth
Fotografien
Sofern nichts anderes vermerkt ist, stammen die Fotografien von Wolfgang Braun
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